Lexikon der Rechtsmedizin

Laut Strafgesetzbuch der Schweiz (StGB) Art. 321 muss vom Arzt jedes ihm in seiner Berufsausübung anvertraute Geheimnis gewahrt werden. Dies gilt auch für Zahnärzte, Apotheker, Hebammen und deren Hilfspersonen, also auch für Pflegepersonen und Medizinstudenten. Der Arzt kann sich nur von seinem Patienten oder seiner vorgesetzten Behörde (Kantonsarzt) vom Arztgeheimnis entbinden lassen. Das Arztgeheimnis gilt nicht im Aussergewöhnlichen Todesfall oder bei Wahrnehmungen, die aus Vergehen oder Verbrechen gegen Leib und Leben, die sexuelle Integrität oder die öffentliche Gesundheit schliessen lassen (Wortlaut aus dem Gesundheitsgesetz des Kt. Bern. Beachte kantonal unterschiedliche Regelungen).

Die Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf einen rechtlich relevanten Zeitpunkt, ausgehend von der Alkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme und einer stündlichen Abbaurate von 0.1-0.2 Gew. Promille.

Todesfall, der bei der ärztlichen Leichenschau nicht mit hinreichender Sicherheit auf ein natürliches Geschehen (natürlicher Tod) zurückgeführt werden kann. Zum agT zählen alle nicht-natürlichen (gewaltsamen) Todesfälle wie Unfälle, Suizide, Tötungsdelikte oder medizinische Behandlungsfehler und alle unklaren Todesfälle, bei denen eine Gewalteinwirkung nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Ein agT muss vom leichenbeschauenden Arzt unverzüglich der zuständigen Strafuntersuchungsbehörde (Polizei oder Untersuchungsrichter) gemeldet werden. Bei jedem agT wird eine Legalinspektion durchgeführt.

Der Begriff Autopsie (Leichenöffnung, Sektion, Obduktion) stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet wörtlich übersetzt „selbst schauen“. Die rechtsmedizinische Autopsie umfasst die Eröffnung aller drei Körperhöhlen (Schädelhöhle, Brusthöhle und Bauchhöhle). Verletzungsbefunde ebenso wie krankhafte Veränderungen werden erhoben, dokumentiert und beurteilt. Im Gegensatz zur Spitalobduktion (Pathologische Autopsie), bei welcher es nur um die Feststellung von Erkrankungen geht, hat die rechtsmedizinische Autopsie zum Ziel, nebst der Feststellung von Todesursache, Todeszeit und Todesart vor allem die Einwirkung durch fremde Hand auszuschliessen. Die rechtsmedizinische Autopsie dient somit dem Interesse der Allgemeinheit und der rechtsstaatlichen Ordnung. Sie kann deshalb, im Gegensatz zur Spitalobduktion, auch ohne die Einwilligung der Angehörigen durchgeführt werden. Bei der rechtsmedizinischen Autopsie werden Körperflüssigkeiten und Gewebeproben zu chemisch-toxikologischen und feingeweblichen wie molekularbiologischen und mikrobiologischen Untersuchungszwecken asserviert. Sämtliche Organe werden jedoch zurück in den Körper gebracht und mit diesem bestattet.

Die Rechtsmedizin wird im Rahmen des agT von der Staatsanwaltschaft beauftragt, Todesfälle zu untersuchen, bei denen sich die Frage nach einem medizinischen Behandlungsfehler stellt.

Rechtsmedizinisch beruht die Todesdiagnose auf der Feststellung der Sicheren Todeszeichen. In der Medizin gilt eine Person laut Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) als tot, wenn das Herz für mindestens 5 Minuten zum Stillstand gekommen ist und dadurch die Blutzirkulation im Organismus und damit auch im Gehirn unterbrochen ist, oder wenn ein vollständiger, irreversibler Funktionsausfall des Gehirns (Hirntod) besteht.

Deoxyribonukleinsäure (Deoxyribo Nucleic Acid). Molekül der Erbsubstanz mit der Form einer doppelläufigen Spirale. Wird in der Rechtsmedizin zur Identifikation und Zuordnung biologischer Spuren zu einem Menschen, sowie für Abstammungsuntersuchungen (Vaterschaft) verwendet. S. auch Fingerabdruck.

Sauerstoffmangel des Gehirns durch: Verunmöglichung der Atmung bei Druck auf den Brustkorb (sog. lagebedingtes Ersticken), Verlegung der inneren oder äusseren Atemwege (Bsp: Einatmung von Mageninhalt), Einatmung von Flüssigkeit (Ertrinken), Sauerstoffmangel der Aussenluft, Verunmöglichung des Sauerstofftransportes im Körper (z.B. Kohlenmonoxid-Vergiftung) oder Unterbindung der Zellatmung (Inneres Ersticken). Die Strangulation wird in der Regel auch der Erstickung zugerechnet, beruht aber durch Druck auf den Hals nicht auf einer Behinderung der Atmung, sondern auf der Kompression der Blutgefässe des Halses mit der Folge eines Sauerstoffmangels im Gehirn.

Eidgenössischer Facharzttitel. Facharzt/Fachärztin für Rechtsmedizin kann werden, wer nach Abschluss des Medizinstudiums die geforderten Weiterbildungsbestimmungen der Vereinigung der Schweizer Ärzte (FMH) erfüllt und die Facharztprüfung besteht. Voraussetzungen sind, dass er/sie sich mindestens ein Jahr in einem Spital als klinisch tätige/r Arzt/Ärztin und 3 bis 3½ Jahre in einem Institut für Rechtsmedizin resp. ½ bis 1 Jahr in einem Pathologischen Institut weiterbilden lässt.

Bedeutet gerichtlich (Lat. Forum: das Gericht): forensische Medizin = gerichtliche Medizin = Rechtsmedizin.

Genetischer Code der zur Identifikation von Personen und Zuordnung von Spuren sowie zur Sicherung einer Vaterschaft verwendet wird. Für den genetischen Fingerabdruck werden sog. nicht kodierende Sequenzen der Erbsubstanz (DNA) verwendet, die keine bekannte biologische Funktion besitzen. Aufgrund des genetischen Fingerabdruckes sind abgesehen vom Geschlecht keine Aussagen über Eigenschaften und Erkrankungen eines Menschen möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen den gleichen genetischen Fingerabdruck besitzen beträgt weniger als 1/100 Milliarden. Die einzige Ausnahme sind eineiige Zwillinge, die genetisch gesehen identisch sind.

Alte Bezeichnung. Heute wird allgemein der Begriff Rechtsmedizin verwendet.

Sicherstellung der Identität eines Verstorbenen. Sichere Identifikationsmerkmale sind: Fingerabdruck, Vergleich der Erbsubstanz (DNA) mit derjenigen von Blutsverwandten der vermissten Person und Übereinstimmung der Zähne des Verstorbenen mit zahnärztlichen Unterlagen der vermissten Person.

Teilgebiet der Rechtsmedizin. Befasst sich mit der Untersuchung von Schädigungen an lebenden Personen.

Äussere Leichenbesichtigung unter rechtsmedizinischen Gesichtspunkten im Auftrag der Strafuntersuchungsbehörde. Die Legalinspektion dient zur Sicherung der Identität, zur Diagnose der Todesart im engeren Sinne (Natürlich, Unfall, Suizid oder Tötungsdelikt) und der Todesursache sowie zur Todeszeitschätzung. Falls die Legalinspektion diese Fragestellungen nicht beantworten kann, wird gegebenenfalls eine Autopsie angeordnet.

Eines der drei sicheren Todeszeichen. L. stellen das Blut dar, das sich in den oberflächlichen Blutgefässen der Haut abgesenkt hat und durch diese hindurchscheint. Sie treten nach 20-30 Minuten Kreislaufstillstand auf und bleiben über 20-30 Stunden durch Fingerdruck verdrängbar.

Leichengift gibt es nicht! In einigen Lehrbüchern und Nachschlagewerken werden gewisse Substanzen, die bei der Zersetzung der Eiweisse des Körpers entstehen und biologische Aktivitäten besitzen können (sog. Ptomaine) unter dem Begriff Leichengifte aufgeführt. Die geringen Mengen dieser Stoffe reichen jedoch nicht aus, einem Menschen zu schaden. Grundsätzlich kann man sich allein durch den Kontakt mit Verstorbenen nicht vergiften! Davon unabhängig bleibt eine allenfalls zu Lebzeiten infektiöse Person auch nach dem Tod für eine gewisse Zeit noch infektiös (HIV, Hepatitis, Tuberkulose, etc.), sodass je nach Art des Umgangs mit dem Leichnam (z.B. Be- oder Entkleiden, Probenentnahmen, Obduktion) entsprechende Massnahmen zur Senkung der Ansteckungsgefahr mit Krankheiten getroffen werden sollten (Tragen von Gummihandschuhen, Schutzbrille, FFP-Masken, etc.).

Erste ärztliche Besichtigung einer verstorbenen Person mit dem Ziel, die ärztliche Todesbescheinigung auszustellen. Die Leichenschau erfordert die persönliche Untersuchung des entkleideten Leichnams zwecks Feststellung von Todeszeichen und Verletzungen. Der/die Arzt/Ärztin muss ferner Gewissheit über die Identität der verstorbenen Person haben, die Todeszeit schätzen und – auch aufgrund von Erkundigungen - die Entscheidung treffen, ob ein natürlicher Todesfall oder ein aussergewöhnlicher Todesfall vorliegt. Beim aussergewöhnlichen Todesfall besteht eine Meldepflicht an die Polizei oder Staatsanwaltschaft.

Eines der drei sicheren Todeszeichen. Entsteht, wenn der Muskelweichmacher Adenosintriphosphat (ATP) abgebaut ist. Die Leichenstarre beginnt ca. 2-3 Stunden nach dem Tod und löst sich nach 2-3 Tagen wieder durch das Eintreten der Fäulnis.

Lehre der Erkrankungen. Nicht mit der Rechtsmedizin zu verwechseln. Der/die Pathologe/-in arbeitet an einem Institut, das in der Regel einem grossen Spital angegliedert ist. Er/sie führt Autopsien zur Erhärtung/Überprüfung/Erweiterung der ärztlichen Diagnosen in natürlichen Todesfällen durch. Nichtnatürliche Todesfälle (Unfälle, Suizide, Delikte, Behandlungsfehler) und unklare Todesfälle gehören in die Rechtsmedizin und nicht in die Pathologie.

Der Alkoholgehalt im Blut wird in Gewichts-Promille (1 Gew.‰ = ein Gramm Alkohol pro 1000 Gramm Blut) angeben. Ab 0.5 Gew. o/oo gilt die Fahrunfähigkeit gesetzlich als erwiesen. Tatsächlich können aber schon bei 0.3 Gew.‰ relevante Einschränkungen der Fahrfähigkeit bestehen. Tödliche Vergiftungen werden ab 4 Gew.‰ beobachtet. Bei lebenden Personen können bei Gewöhnung aber auch wesentlich höhere Konzentrationen gemessen werden.

Medizinische Fachrichtung, die sich mit Fragen juristischer Natur (Strafrecht, Zivilrecht, Versicherungsrecht) befasst, welche sich nur mit naturwissenschaftlichen Methoden beantworten lassen (Medizin, Biologie, Chemie, etc.). Je nach Grösse der rechtsmedizinischen Institute sind diese in mehrere Fachabteilungen unterteilt sind.

Den Scheintod gibt es nicht. Wer tot ist, bleibt auch tot und erwacht sicher nicht wieder. Der Begriff "Scheintod" wird aber hier und da für einen Zustand verwendet, indem die Lebenszeichen (Atmung und/oder Kreislauf) sehr schwach oder gar nicht mehr abgrenzbar sind, aber auch keine sicheren Todeszeichen (Leichenstarre, Leichenflecken, Fäulnis) vorliegen. Dieser Zustand wird  mit "Vita minima" korrekt beschrieben und tritt gehäuft bei Unterkühlungen und/oder Vergiftungen auf. Wenn ein solcher Körper fälschlicherweise für tot erklärt wird, kann es passieren, dass die Person wenig später die Augen wieder öffnet. Das ist jedoch kein Beleg für die Existenz des Scheintodes, sondern für eine unsorgfältige ärztliche Leichenschau. Solange die ärztliche Leichenschau korrekt durchgeführt und dabei auf die sicheren Todeszeichen geachtet wird, kann niemand irrtümlich für tot erklärt werden.

Das heftige Schütteln eines Säuglings und Kleinkindes ist äusserst gefährlich, da es zu einer schweren Hirnschädigung und zu Hirnblutungen führen kann. Als Folgen davon können schwere, bleibende Behinderungen und der Tod des Kindes eintreten.

Leichenflecken, Leichenstarre, Fäulnis. Fehlender Puls, fehlende Atmung, tiefe Körpertemperatur, Fehlen von Reflexen, Nulllinie im EKG sind unsichere Todeszeichen, denn sie können spontan reversibel sein.

(Sudden Infant Death Syndrome). Plötzlicher Tod eines Säuglings oder Kleinkindes, der unerwartet eintritt und bei dem eine sorgfältige postmortale Untersuchung (Obduktion, infektiologische und toxikologische Untersuchungen) keine adäquate Todesursache nachweisen lässt. Der SIDS tritt in der Schweiz in den letzten Jahren zwischen 0.1 und 0.2 von 1000 Lebendgeborenen auf. Die Ursache ist unbekannt. Als begünstigende Faktoren gelten die Bauchlage beim Schlafen, das Rauchen der Eltern in Gegenwart des Säuglings/Kleinkindes und überheizte Schlafräume.

Die Beihilfe zum Suizid gem. StGB Art. 115 ist in der Schweiz nicht strafbar. Voraussetzung ist, dass der letztlich zum Tod führende Akt von der urteilsfähigen Person selbst durchgeführt wird und der Sterbegehilfe keine selbstsüchtigen Motive hat. Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen gem. StGB Art. 114) ist hingegen strafbar.

Überbegriff für alle Gewaltformen, die durch äussere Einwirkung auf den Hals zu einem Verschluss der Halsgefässe und dadurch zu einem Sauerstoffmangel des Gehirns führen. Beim Erhängen wirkt der Strang durch das Körpergewicht. Bei der Drosselung wird das Strangwerkzeug mit den Händen zugezogen. Beim Würgen erfolgt die Gewalteinwirkung auf den Hals durch Arme und/oder Hände.

Die Todesart ist eine juristische Qualifikation des Todesfalles und nicht mit der Todesursache (medizinische Diagnose) zu verwechseln. Todesarten im engeren Sinn sind: Natürlicher Tod, Unfall, Suizid und Delikt.

Wird in der rechtsmedizinischen Routine anhand der Leichenerscheinungen (Totenflecken, Totenstarre), der postmortalen Erregbarkeit der Skelettmuskulatur durch mechanische und elektrische Reizung und anhand der Auskühlung des Körpers geschätzt. Die Schätzung umfasst immer einen Zeitintervall innerhalb dessen die Person wahrscheinlich verstorben sein dürfte. Die Angabe eines exakten Todeszeitpunktes ist Anhand der am Leichnam zu erhebenden Befunde nicht möglich.

Amtliches Dokument, das der/die Arzt/Ärztin anlässlich der Leichenschau ausfüllen muss. Der Totenschein enthält die Angaben über die Identität des Verstorbenen, den Zeitpunkt des Todes sowie die Todesart im weiteren Sinne (natürlich, gewaltsam oder unklar).

Die Todesursache ist eine medizinische Diagnose und beschreibt die Fehlfunktion im Körper, welche den Eintritt des Todes medizinisch erklärt. Häufige Todesursachen sind z.B. das Herzversagen, die Lungenthrombembolie, das Verbluten oder das Ersticken. In den meisten Fällen ist die Kenntnis über die genaue Todesursache Voraussetzung dafür, dass man die Todesart (juristische Qualifikation des Todesfalles) benennen kann. Die Todesursache ist nur in wenigen Ausnahmefällen (z.B. gastrointestinale Blutung) bei einer ärztlichen Leichenschau von aussen zu erkennen. In der Regel bedarf es einer Obduktion, um die Todesursache sicher benennen zu können. Da über 90% der Verstorbenen jedoch nicht obduziert werden, ist die überwiegende Mehrheit der angegebenen Todesursachen in der Schweiz nur geschätzt und entsprechend fehlerbehaftet. Das hindert das statische Bundesamt aber nicht daran, eine jährliche Todesursachenstatistik zu veröffentlichen.  

Abstammungsuntersuchungen zur Sicherung einer Vaterschaft werden anhand der Untersuchung der DNA von Mutter, Kind und dem fraglichen Vater durchgeführt. Dazu braucht es das Einverständnis der Mutter und des fraglichen Vaters.

Formel zur theoretischen Berechnung des Blutalkoholgehaltes (C) ausgehend von der genossenen Alkoholmenge (A) in Gramm, dem Körpergewicht (p), der stündlichen Abbaurate (B), der Zeit zwischen Alkoholgenuss und dem fraglichen Ereignis (t) und dem individuellen Verteilungsfaktor (r): C = A/p.r-B.t